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Predigt                                                                         11. 7. 2021

Liebe Brüder und Schwestern!

Dieses sehr lange Evangelium heute ist keine zufällige Aneinanderreihung von zwei Heilungserzählungen, sondern bewusst so zusammengestellt – „komponiert“ – worden. Darauf weist die zweimalige Angabe „12 Jahre“ hin.

Die Frau, die sich voll Hoffnung auf Heilung an Jesus herandrängt, ist seit 12 Jahren krank, und die Tochter des Synagogenvorstehers ist 12 Jahre alt.

Aber der Reihe nach.

Der Synagogenvorsteher Jairus fällt vor Jesus auf die Knie und fleht ihn an, mit ihm nach Hause zu kommen und seine Tochter, die im Sterben liegt, zu heilen.

Nur langsam kommen sie durchs Gedränge.

Man steht als Zuhörer quasi auf Nadeln, als auch noch der Zwischenfall mit der Frau dazukommt, die an Blutungen leidet und geheilt wird.

Und wirklich, schrecklich die Nachricht, die Jairus und Jesus erreicht: Die Tochter ist inzwischen gestorben. Es ist zu spät.

Aber Jesus kann auch da noch Rettung bringen.

Diese Rettung, die durch Jesus geschieht, ist umfassender und weiter, als körperliche Gesundwerdung. Die Krankheit drückt ja als Symptom Tieferes aus. Jesus heilt immer den ganzen Menschen – und oft noch das Umfeld mit dazu.

Beide Frauen – und die Tochter des Jairus ist im damaligen Judentum erwachsen; mit 12 Jahren konnte sie verheiratet werden – leiden am selben Übel.

Frauen hatten in der Gesellschaft keine wirklichen Möglichkeiten, Wahlfreiheit, Entwicklungschancen …

Die Frau, die seit 12 Jahren an Blutungen leidet, der rinnt der Lebenssaft aus – Immer für andere da sein, nach deren Pfeife tanzen, erst die Eltern, dann Mann und Kinder, wenn sie welche hat – was an ihr interessiert, ist ihre Fähigkeit, Kinder zu bekommen. Persönlichkeit, Begabungen, gar Vorlieben – danach wurde nicht gefragt.

Und im einzigen Bereich, der zählt, wie man ihr gesagt hat, da versagt sie. Wegen der Blutungen darf ihr Mann keinen Verkehr mit ihr haben. Womöglich hat er ihr den Scheidebrief überreicht wegen ihrer Unfruchtbarkeit. Wir können uns ausmalen, wie es ihr in ihrer familiären Situation geht. Zusätzlich mit ihren leiblichen Beschwerden. Das Unheil zum Quadrat.

Und das Töchterchen des Synagogenvorstehers, wie er sie liebevoll nennt? Man stellt sich zuerst ein Kind vielleicht von 4 – 6,7 Jahren vor.

Typischerweise erfahren wir von ihr keinen Namen – auch nicht, woran sie erkrankt ist. Braucht Jesus unterwegs zu ihr die Erfahrung mit der geheilten Erwachsenen, um besser verstehen zu können, welches Leid und Leiden die 12Jährige befallen hat?

Sie ist die einzige Tochter. Papas Liebling. Ich vermute, er hat ihr mehr beigebracht, als es damals für eine Tochter üblich war und erlaubt; Frauen durften die Tora weder berühren noch lesen! Nun – er hatte keinen Sohn, der in die religiösen Fußstapfen treten hätte können.

Jetzt, mit 12 Jahren, als ihre Periode einsetzt und die Eltern beginnen, über Heiratskandidaten nachzudenken, ist es vorbei mit der Herrlichkeit.

Zurückgestutzt wird sie, festgelegt auf ihre biologische Funktion – wie bei der anderen, der älteren Leidensgenossin: Persönlichkeit, Begabungen, Vorlieben … egal.

Sicher hat sie nicht laut protestiert. Sie war ein braves Kind, eine Vorzeigetochter – klug, liebenswürdig, gehorsam, hübsch … So tritt sie die Flucht nach innen an – ein Kind bleiben –

Wir wissen, dass heute die jungen Menschen, die an Magersucht leiden, in der Mehrzahl junge Mädchen, die braven Vorzeigekinder sind, die perfekt sein wollen. Es ist eine verwandte Krankheit zur Depression – Selbstmord langsam durch Verhungern.

Der gesellschaftliche Druck so groß, dass der junge Mensch nicht standhalten kann.

Für Jesus ist das Umfeld immer wichtig. Er nimmt die Eltern des Mädchens und seine drei engsten vertrautesten Jünger mit ins Kranken- oder besser gesagt, Sterbezimmer.

Vor Zeugen, öffentlich, spricht er der jungen Frau zu: ich sage dir, steh auf – stell dich auf die Füße, schau der Wirklichkeit, dem Leben ins Gesicht, leiste Widerstand, wo es nötig ist, hab Mut zur Eigenständigkeit und Selbständigkeit, konfrontriere die anderen mit deiner Persönlichkeit, du bist Gottes geliebte Tochter, mindestens genauso wie vorher als Kind.

Es gibt bei uns in der Kirche ewig Dumme, die meinen, Mädchen oder Frauen hätten im Altarraum nichts verloren, weil sie ja die Regel haben könnten.

Ich würde mal sagen, entweder haben sie das Evangelium nicht gelesen – oder sie nehmen es nicht ernst.

Diese strikte Weigerung, über Weihe von Frauen überhaupt reden zu wollen in manchen Kreisen, ist eh nur mehr in Rom bei den alten Kardinälen …kommt aus derselben magisch-abergläubischen Vorstellung her.

Das Unchristliche, Gemeine daran ist, dass vermittelt wird: weil du biologisch eine Frau bist, mag dich Gott weniger in der Nähe haben … deswegen bist du weniger wert, hast weniger Rechte – und das glauben unzählige, auch hier in unserem Land, im 21. Jahrhundert. Und es betrifft Gesellschaft  Ehe, Wirtschaft,  Politik … und vieles mehr.

Ich vermute, wir alle können uns denken, was Jesus dazu sagt. Und es ernst nehmen. An der Basis und an der kirchlichen Spitze …