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Heute gibt es wieder eine Bibelstelle, in der jemand geheilt wird. Ein Gelähmter kann wieder gehen. Es ist eine der bekanntesten Begebenheiten im Evangelium überhaupt; und doch verschwindet es meistens aus unserem Blick, dass vor der körperlichen Heilung die seelische erfolgt.

„Deine Sünden sind dir vergeben“.

Alles, was in der Vergangenheit an Erstarrung, an Lähmung, an Einengung, an Fixierung geschehen ist – durch fremde und eigene Entscheidungen, durch das Umfeld, die Systeme, in denen wir leben.

Wo Gefühle immer eindimensionaler geworden sind, wo es scheinbar keinen Ausweg gibt.

Dies alles hebt Jesus auf mit einem Blick, mit einem Wort.

Einfach, damit dieser Mensch wieder glücklich und frei sein kann.

Welche Lähmung, Erstarrung, krankmachende Festlegung ist es, von der mich Jesus befreien, er-lösen soll?

Wie werde ich leben, wie sieht mein Leben aus, wenn ich frei bin?

Lk 5, 17-36

 17 Und es geschah eines Tages, als Jesus lehrte, saßen Pharisäer und Gesetzeslehrer dabei; sie waren aus allen Dörfern Galiläas und Judäas und aus Jerusalem gekommen. Und die Kraft des Herrn war mit ihm, sodass er heilen konnte. 18 Und siehe, Männer brachten auf seinem Bett einen Menschen, der gelähmt war. Sie wollten ihn ins Haus bringen und vor Jesus hinlegen. 19 Weil es ihnen aber wegen der Volksmenge nicht möglich war, ihn hineinzubringen, stiegen sie aufs Dach und ließen ihn durch die Ziegel auf dem Bett hinunter in die Mitte vor Jesus hin. 20 Als er ihren Glauben sah, sagte er: Mensch, deine Sünden sind dir vergeben. 21 Und die Schriftgelehrten und die Pharisäer fingen an zu überlegen: Wer ist dieser, der Lästerungen ausspricht? Wer kann Sünden vergeben außer Gott allein? 22 Jesus aber erkannte ihre Gedanken und erwiderte ihnen: Was überlegt ihr in euren Herzen? 23 Was ist leichter, zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben! oder zu sagen: Steh auf und geh umher? 24 Damit ihr aber erkennt, dass der Menschensohn die Vollmacht hat, auf der Erde Sünden zu vergeben – sprach er zu dem Gelähmten: Ich sage dir: Steh auf, nimm dein Bett und geh in dein Haus! 25 Und sogleich stand er vor ihren Augen auf, nahm das Bett, auf dem er gelegen hatte, und ging Gott preisend in sein Haus. 26 Da gerieten alle außer sich; sie priesen Gott und sagten voller Furcht: Heute haben wir Unglaubliches gesehen.

Predigt                                                       26./27. 10. 2019

 

Liebe Brüder und Schwestern, liebe Kinder!

 

Also doch die althergebrachte Einstellung: Man darf nicht stolz sein auf das, was man geleistet, geschafft hat? Gott freut sich also doch, wenn wir ständig mit hängendem Kopf herumlaufen und uns als „arme Sünder“ fühlen …

So ist es oft und oft, jahrhundertelang gesagt worden.

Aber stimmt das wirklich?

Kann Gott das wollen?

Hat Jesus mit diesem Evangelium das gemeint?

 

An einer anderen Stelle sagt er, wir sollen unser Licht nicht unter den Scheffel stellen.

 

Der Evangelist Lukas sagt in der Einleitung zu dieser Stelle ganz genau, wem das Gleichnis gilt.

Vielleicht haben wir nicht genau zugehört:

„In jener Zeit erzählte Jesus einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, dieses Beispiel.“

 

Natürlich dürfen wir und sollen wir uns freuen und stolz sein, wenn wir Fähigkeiten haben, etwas gelingt, wenn wir etwas leisten. Das ist gesund und normal, uns wir brauchen das, es ist lebensnotwendig. Menschen, die in ihrem Tun keinen Sinn erkennen, die keine Erfolge erleben, werden depressiv.

 

Was nicht geht:

Sich besser fühlen als andere, auf sie herabschauen, das Evangelium sagt „verachten“, und zwar im religiösen Sinn – es gibt immer wieder, auch heute noch, Menschen, die meinen, sie sind vor Gott mehr wert und ihm näher und vertrauter als andere. Die anderen nämlich, so meint man, haben nicht ganz den richtigen Glauben, sind nicht fromm genug, ein Wahnsinn, was die alles tun bzw. nicht tun … an was sich die alles nicht halten …

Was, der fastet am Freitag nicht, betet keinen Rosenkranz, war noch nie in Medjugorje, was, die gehen nicht einmal jeden Sonntag in die Kirche, …

 

In unserem Land gibt es Kreise, besonders fromme Katholiken, die haben allen Ernstes die Meinung vertreten, wahrscheinlich tun sie es heute noch, wenn jemand bei der Plattform „Wir sind Kirche“ dabei ist oder bei der laien- oder Priesterinitiative, dann stehen die nicht mehr innerhalb der Kirche …

Ich hab mit einem – ein junges Bürscherl, der in keiner Pfarre beheimatet ist, eine Diskussion gehabt, hab ihn gefragt, ob er das tatsächlich glaubt, dass viele moderne Priester, die 2 oder 3 Pfarren haben, oder Pfarrgemeinderäte, Haupt- und Ehrenamtliche, die durch ihren oft lebenslangen Einsatz das Leben in den Pfarren aufrechterhalten, woher er die Berechtigung zu nehmen glaubt, auf die schimpfen zu dürfen. Bloß weil er die Notwendigkeit nicht einsieht, dass sich diese für dringend nötige Reformen in der Kirche einsetzen.

 

Jetzt ist aber diese Denkweise viel weiter verbreitet als wir glauben. Sich besser vorkommen als andere – wo erleben wir das selber? Wo denken wir selber so?

Sind wir nicht alle ständig der Versuchung ausgesetzt, wenn wir gläubig sind, anderen weniger Glauben oder Gutsein zuzutrauen als und selber – weil sie z. b. in der Ehe oder im Beruf gescheitert sind, weil sie aus dem Ausland kommen, sich anders benehmen, anders aussehen, sich anders kleiden oder ernähren als wir selber? Eine ganz neue Studie besagt, dass Behinderte in Österreich noch immer nicht für voll genommen werden. Wir sind – im Gegensatz z. b. zu den USA, Kanada, Großbritannien oder den skandinavischen Ländern auf dem Stand der 70er-Jahre stehengeblieben.

 

Jesus will uns mit dem heutigen Beispiel sagen: Achtung! Es ist nicht, wie ihr glaubt.

Gott liebt uns nicht, weil wir tüchtig und erfolgreich sind – im Leben oder in religiösen Dingen. Gott liebt uns nicht, weil wir beten und in die Kirche gehen, spenden und den Kirchenbeitrag pünktlich zahlen, weil wir uns in der Pfarre oder sozial wo besonders engagieren.

Ja, Gott freut sich mit uns, wenn wir das alles tun, aber lieben tut er uns, weil wir am Leben und seine Kinder sind.

 

Haben sie Kinder?

Wenn es mehrere sind: Lieben Sie Ihr Kind, weil es lauter Einser hat, besonders schön ist, im Fußballmatch ein Tor geschossen oder im Musikwettbewerb einen Preis gewonnen hat? Lieben Sie es nicht, wenn das alles nicht ist? – Na eben, klar lieben Menschen die eigenen Kinder, vielleicht mit besonderer Sorge und Energie, wenn sie sich schmutzig oder etwas falsch gemacht haben, wenn sie Schwierigkeiten bekommen, auf die schiefe Bahn geraten, krank werden usw.

Und wehe, ein Außenstehender würde dann über das eigene Kind schlecht reden, die Mutter möchte ich sehen, mit der man es dann nicht zu tun bekommt …

 

So liebt Gott jede und jeden von uns.

Liebe Brüder und Schwestern, der Zöllner im Evangelium wird von Jesus nicht gelobt, weil er sich unter Umständen falsch verhalten hat. Der Zöllner verhält sich Gott gegenüber richtig, wie ein Kind, das sich mit seinen Fehlern und Verletzungen, mit allem, was falsch rennt im Leben, nicht versteckt, sondern sich hinstellt und dies alles in Ordnung bringen lässt. Der weiß, dass er mit all dem kommen darf. Willkommen ist. Gott will ihn bei sich haben, Hauptsache, er ist da, wurscht die Beleitumstände.

 

Der Pharisäer erfasst nicht, wie Gott ist. Sein Beten bleibt unpersönlich. Gott ist wie ein Firmenchef, ein König, dem man da präsentiert, was man leistet – und das was im Leben weniger ok. ist, die eigene Persönlichkeit, das Privatleben, geht den nichts an. Der gute Bürger lässt sich auf keine nähere Beziehung ein. Er öffnet sich nicht. Und bleibt veränderungsresistent. Beziehungsunfähig. Nimmt Gott nicht ernst. Benutzt Religiosität dazu, sich gut zu fühlen, zur Selbstbestätigung.

Der Zöllner kommt mit der authentischen Wirklichkeit seiner gesamten Persönlichkeit – und die ist nicht perfekt. Er versteckt nichts.

Und so hat er – das, was Gott von uns möchte, worauf es ankommt: eine Begegnung mit Gott, eine lebendige, von Person zu Person.

 

Predigt                                                                St. Leonhard, 26. 10. 2019

 

Liebe Brüder und Schwestern, liebe Kinder!

 

Sankt Leonhard, der Löser der Ketten und Befreier der Gefangenen. Er hat sich tatsächlich für die Freilassung Inhaftierter – die waren damals in Verliesen – eingesetzt.

Es werden heute später auch Pferde gesegnet, der heilige Leonhard wird traditionsgemäß auch mit dem Großvieh, Rindern, Eseln und Pferden, in Verbindung gebracht und als deren Schutzpatron verehrt.

Die (zerbrochenen) Ketten, mit denen er üblicherweise dargestellt wurde, hat man als Tierketten verstanden.

Ursprünglich riefen Menschen den Hl. Leonhard bei unrechter Inhaftierung an. Mehrere Legenden schildern, wie Ritter, die im Zuge der Kämpfe mit muslimischen Mauren in Gefangenschaft geraten waren, ihn anrufen und auf wunderbare Weise befreit werden.

 

Das Befreien von zu Unrecht Gefangenen gehört zutiefst und schon seit den Anfängen zur christlichen Tradition. Der Messias wird auch als Befreier von (politischen) Gefangenen erwartet, die gab es nämlich, man hatte ja die römische Besatzungsmacht im Land … und Jesus stellt sich auch so vor. Ich bin gekommen, den Gefangenen die Freiheit zu verkünden.

Die ersten Christen haben Geld gesammelt, um getaufte Sklaven freizukaufen, man empfand es als absolut unpassend, dass Getaufte, freie Bürger des

Reiches Gottes, im römischen Staat als Unfreie leben sollten, und hat etwas dagegen unternommen.

Wenn wir uns bei Amnesty International oder CSI, Christen in Not für politisch, weltanschaulich oder religiös Verfolgte einsetzen, stehen wir in einer guten Tradition.

 

Jetzt hat aber das Befreien, das Lösen oder Sprengen von Ketten weitere Dimensionen.

 

Zunächst das Befreien aus dem Tod. Es gibt eine Reihe von Bildern, die Jesus als Auferstandenen zeigen, wie er an den Händen links und rechts die Verstorbenen aus der Unterwelt herausholt ins Licht, in seinen Bereich, in den Himmel.

 

Dann natürlich das Befreien von der Sünde, das Jesus bewirkt. Und da steckt mehr dahinter als die schnelle Lossprechung nach einer noch schnelleren Aufzählung von Verhaltensweisen, die uns verkehrt vorkommen.

 

Und da kommen wir zum heutigen Evangelium.

 

Vielleicht kommt es uns erheiternd vor, wie der Pharisäer betet, selbstgerecht wie aus dem Bilderbuch. Natürlich können und sollen wir, wenn wir beten auch Danke sagen für all das Gute, das uns geschenkt ist, Herkunftsfamilie, Wohlstand, Erziehung, Bildung, auch dass wir glauben können.

Aber natürlich geht es nicht, auf andere verächtlich herabzusehen – die die all diese Vorteile nicht haben…

 

Jesus ist gekommen, um Ketten jedweder Art zu entfernen, im übertragenen Sinn: die der eigenen beschränkten Sicht, der Unwissenheit, der religiösen Sturheit, des Fanatismus,… er möchte uns den Klotz am Bein entfernen, der Standesdünkel heißt und Vorurteil. Selbstgenügsamkeit, nichts mehr dazulernen, keine neuen Menschen kennenlernen wollen.

Die gesellschaftlich üblichen Schranken will er aufheben: jede Art von Diskriminierung, Feindschaft oder auch Angst.

Und klarerweise alles, was Menschen knechtet, unfrei sein lässt: Zwänge, Süchte, weltanschauliche sogenannte verschlossene Türen, Tabus, menschenfeindliche Gesetze, und seelische und körperliche Krankheiten sowieso.

Der Unterschied zwischen dem Pharisäer und dem Zöllner besteht darin, dass der Pharisäer seine Unfreiheit nicht merkt, seine Ketten nicht spürt. Er hat sich darin eingerichtet, ja er profitiert sogar davon, weil er sie benützt, um sich im Vergleich zu anderen gut zu fühlen.

Der Zöllner weiß genau, was nicht passt in seinem Leben. Gott, sei mir Sünder gnädig meint, hilf mir, ich selber schaffe es nicht. Er bittet Gott darum, befreiend in sein verkorkstes Leben einzugreifen.

 

Dass auch wir – alle – das tun, dazu will uns Jesus ermutigen.

 

Halten wir ihm unsere Ketten hin, die wir aus eigener Kraft nicht loswerden: Gewohnheiten, Denkweisen, verfahrene Situationen, alles wo wir glauben es muss so sein aber im Grunde darunter leiden, fixe Vorstellungen, Festlegungen anderer, wie wir angeblich immer seien oder zu sein haben, Feindschaften, Beziehungen, Gruppenzwänge, die Weltlage und und und …

Wir brauchen nur sagen, wir wollen das nicht mehr…

 

Heilige haben die Aufgabe, auf uns Menschen ein bisschen ein Auge zu haben – wie ältere Geschwister auf Kleinere. Bitten wir den Heiligen Leonhard, dass er sich für uns einsetzt, wo wir unfrei sind. Als Befreier aktiv wird Jesus, Gott, selber.

Wir brauchen uns nur überraschen lassen, wie und wie sehr.