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5. Seminartag, 23. 10. 2024
Standesdünkel
Gibt es heutzutage nicht mehr … Leider doch.
Er schaut nur anders aus als vielleicht vor 50 oder 100 Jahren.
Deine Herkunftsfamilie gehörte einer bestimmten Gesellschaftsschicht an. Es kann sein, dass du ähnliches erlebt hast wie ich:
Als Schulkind freundete ich mich mit einer Mitschülerin an, die mich auch bald zu sich nach Hause einlud. Natürlich fragte ich meine Mutter, ob ich am übernächsten Nachmittag zu Astrid gehen dürfe – außerdem musste ich nach dem Weg fragen, in dieser Wohngegend war ich nämlich noch nie gewesen. Meine Mutter hatte etwas dagegen. „Nein wirklich, muss das sein?“ meinte sie, mittelstark entsetzt. Die Familie von Astrid wohnte in einer Gegend, wo nach Meinung meiner Mutter „anständige Bürger nicht hingehen“.
Allerdings: Meine Mama kannte mich gut genug, um es mir nicht ausdrücklich zu verbieten. Der Nachmittag war lustig, ich lernte neue Spiele kennen. Das WC war am Gang, Bad innerhalb der Wohnung gab es keines, auch kein fließendes Wasser. Substandardwohnung nannte man das damals.
Du merkst es wahrscheinlich gar nicht: Aber es gibt Menschen, mit denen du von dir aus nicht sprichst. Du hältst es für so normal, dass du nicht weiter darüber nachdenkst.
Es kann auch sein, dass du VertreterInnen einer bestimmten Weltanschauung oder Religion links liegen lässt. Du hast kein Bedürfnis, sie näher kennenzulernen, auch wenn sie deine KollegInnen, MitstudentInnen, Vereinsmitglieder etc. sind.
Solche Einteilungen können sein:
ArbeiterIn
AkademikerIn
Alternativ
Ländliches Milieu
Gehobenes Milieu (LeserInnen der „Presse“, Friseurfrisur, V-Pullover, Anzug, Krawatte, Kostüm, Kleid …)
„Halbstarke“ (Tätowierung, Piercing, schwarz gekleidet, schwerer Schmuck, Motorrad …)
Biedermeier (Häuschen, Vorgarten, 40Stunden-Woche, Wochenende grillen, nur private Interessen)
Abgesandelt (ungepflegt, ohne feste Lebens- oder Tagesstruktur)
Naturfreaks
Extrem reich
Alter Adel (den es laut Gesetz nicht mehr gibt)
Migranten, denen man dies ansieht
…
Ich habe jetzt 12 Möglichkeiten, Menschen einzuteilen, aufgezählt. Es dürfte mehr geben …
D. h., wenn du einer dieser Gruppen angehörst und von vornherein ausschließt, mit den weiteren Gruppen etwas zu tun zu haben, nimmst du dir 11 Möglichkeiten, wunderbare Menschen, FreundInnen, GesprächspartnerInnen, HelferInnen, … kennenzulernen – und von ihnen zu lernen, wie das Leben sonst noch gelebt werden kann, wie jemand auf
Arten glücklich werden kann, die du – leider – niemals in Erfahrung bringen wirst…
Die heutige Übung: Denk darüber 5 Minuten nach.
Dann: Such dir eine Person aus einer dir fernstehenden Bevölkerungsgruppe (mit der du bisher freiwillig nie etwas zu tun hattest) und komme mit ihr ins Gespräch, schließ Bekanntschaft …!