Gesunder Stolz und sündhafte Überheblichkeit. Predigt
Vor ein paar Jahren haben mir Bekannte in Lunz am See, wo ich bis Mai dieses Jahres ein Haus hatte, eine für sie verstörende Begebenheit erzählt:
Der Bischof war in diesem bezaubernden Bergdorf in den niederösterreichischen Alpen, und MitarbeiterInnen der Pfarre berichteten ihm begeistert, worauf sie in ihrer Gemeinde stolz waren. Offenbar ein Fehler; scharf wies er sie zurecht: Stolz sei eine schwere Sünde und habe im kirchlichen Bereich nichts verloren, sie sollten sich quasi schämen …
Ich war entsetzt und dachte mir (und habe es meinen Bekannten auch so gesagt😊):
Da hat der gute Mann etwas verwechselt – und seinen eigenen blinden Fleck nicht gesehen.
Es gibt zwei Arten von Stolz.
Selbstverständlich dürfen und sollen wir stolz sein auf unsere Leistungen, Einsichten, auf das, was wir gelernt und erworben haben usw. usf. Es ist gut und richtig, die eigenen Vorzüge nicht zu verstecken; Selbstbewusstsein, das Bewusstsein des eigenen Wertes und der eigenen Würde, ist gesund und erstrebenswert. Außerdem brauchen Menschen Vorbilder, denen sie nacheifern können.
Diese Art von gesundem Stolz kann kippen: in eine ungute Überheblichkeit, die sich besser vorkommt als Mitmenschen mit anderer Überzeugung, anderem Lebensentwurf, anderer Herkunft, anderem Aussehen, anderer Religion … Diese „anderen“ werden dann schnell abgewertet, von oben herab behandelt, vielleicht sogar offen verachtet.
Genau diese 2. Art, die Überheblichkeit, kritisiert Jesus auch im Text, der heute im katholischen Sonntagsevangelium für den Gottesdienst vorgesehen ist. „Wir, die Guten – die dort, die Schlechten“ – eine derartige Sichtweise verhindert eine heilsame Spiritualität. Es geht dann nur mehr um die Erfüllung von Normen und Geboten, nicht mehr um die Beziehung zur liebenden, menschenfreundlichen Gottheit. Klar begegnet dieser abschreckende Stolz in der Kirche und in Religionen ständig, und das hilft keinem.
Und weil JHWH will, dass es uns gut geht, dass wir glücklich sind, bekommen wir den Hinweis: He, so bitte nicht!
Möglicherweise flüchten Menschen in die Überheblichkeit, wenn ihnen der gesunde Stolz lange und gründlich aberzogen wird. Möglicherweise handelt es sich um eine „Sünde“, die in patriarchalen Gesellschaften besonders gute Entwicklungschancen hat; eher eine Sünde von Männern, weniger von Frauen…
Wie geht es euch mit dieser Sicht? Möchtet ihr eure Erfahrungen mit gesundem Stolz und unangenehmer Überheblichkeit teilen?

Pixabay
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