Predigt
Sonntag, 28. 6. 2020
Liebe
Brüder und Schwestern, liebe Kinder!
Sind
wir nicht gerade erschrocken beim Anhören des Evangeliums?
„Wer
Eltern oder Kinder mehr liebt als Jesus, ist seiner nicht würdig… ?
Soll
das etwa gute Nachricht, frohe Botschaft sein?
Umfragewerte
heute zeigen: Die Familie genießt den höchsten Stellenwert.
Das
war übrigens zur Zeit Jesu genauso, damals war der Stellenwert sogar noch
höher.
Und
genau deswegen sagt Jesus diese Worte.
Schauen
wir uns die damalige Situation einmal an:
Im damaligen Israel
gab es nichts Wichtigeres als die Familie. Das war das Um und Auf. Die mizpoche, die Sippschaft, im heutigen
Judentum ist es noch so, da hält man zusammen, ja es ist fast so: außerhalb
kein Heil. Vielleicht waren manche von uns in Mittel- oder Süditalien auf
Urlaub oder haben Bekannte, Verwandte dort, im Mittelmeerraum ist es viel
stärker. Und erst recht im Orient, besonders damals. Ein herausfallen aus
diesem Familienverband war beinahe gleichbedeutend mit einem Herausfallen aus
der Gesellschaft.
Die ersten Christen,
die Anhänger Jesu haben die Erfahrung gemacht: wenn wir an Jesus und sein
Evangelium glauben, dann fallen wir heraus aus unseren Lebenszusammenhängen,
dann sind wir bedroht und verfolgt, dann geht es uns nicht mehr gut …
Die frohe Botschaft,
die Jesus für sie hat, lautet: es gibt etwas, das noch wichtiger ist als die
Familie. Das ist Gott selber und das seid ihr selber, als Mensch, als Person,
egal wo und wie ihr lebt … Ihr seid unendlich wertvoll und geliebt unabhängig
von eurem Familienstand und eurer sonstigen Zugehörigkeit …
Wenn ihr
gesellschaftlich und religiös – wegen Jesus Christus – aus euren Bezügen und
Verbänden und Gemeinschaften herausfallt, dann seid ihr dennoch bei Gott
geborgen, ja erst recht deswegen schaut Gott, schaue ich besonders auf euch.
Liebe Brüder und
Schwestern, diese Botschaft gilt uns heute.
Das Orientieren an
dem, was Gott, was Jesus will, ist für viele Menschen schwieriger, als wir uns
im Moment vorstellen.
Ja, es gibt Menschen,
die halt nicht am Sonntag in die Kirche oder auch in eine Gruppe, Bibelrunde
usw. gehen oder sich in der Pfarre
engagieren, obwohl sie sich dafür interessieren würden, weil sich Familienmitglieder,
der Partner, die Eltern, die Kinder, die Nachbarn, Kollegen … darüber lustig
machen – weil sie befürchten, etwas von ihrem Ansehen zu verlieren.
Zu mir hat einmal ein
Vater von einem Schüler oder einer Schülerin, die ich in Religion hatte,
gesagt: Naja, Sie müssen ja in die Kirche gehen …
Er hat es eher
bedauernd gemeint, so in der Art, ich wäre im Grunde ganz ok, ich kann ja
nichts dafür, weil ich muss … gehört zum Beruf dazu und der Chef möchte es wohl
…
Ich hab gesagt, nein,
ehrlich gesagt, ich gehe freiwillig und absichtlich und sehr gern in die
Kirche, und das hat er nicht wirklich verstanden…
Noch mehr werden
Menschen aber in unserer Gesellschaft –
ja sogar verunglimpft und beschimpft und in den sozialen Medien bedroht, wenn
sie öffentlich für die Werte des Evangeliums eintreten und deswegen caritativ
tätig sind. „Das sind ja Gutmenschen“ ist da noch relativ harmlos, obwohl es
durchaus als Schimpfwort gemeint ist.
Werte des Evangeliums
– dass jeder Mensch gleich viel wert und gleich schützens- und achtenswert ist
wie jede/r andere …
Im heutigen Text
liegt noch eine radikalere Botschaft, von der sich in den letzten 2000 Jahren
viele Christen leiten haben lassen, die uns heute nicht mehr so geläufig
ist… Wenn ich Jünger, eine Jüngerin
Jesu, getaufte/r Christ/in bin, dann gibt es für mich keine Fremden mehr. Vor
Gott sind wir alle Geschwister…
Und wenn die
Blutsverwandtschaft und eigene Familienzugehörigkeit im Judentum zur Zeit Jesu
den denkbar höchsten Stellenwert hatte und Jesus so spricht wie heute im Evangelium,
dann können wir daraus ableiten, wie wichtig wir Menschen nehmen sollen, die
nicht im bürgerlich traditionellen Sinn zu unserer Familie gehören.
Alle die, die z. B. in
irgendeiner Weise Unterstützung brauchen. In der Bibel gibt es da zig Mal die
gleiche Aufzählung: Fremde, Alleinstehende jeder Art (in der Heiligen Schrift
heißt es Witwen und Waisen), Arme. Das sind genau die, die bei Gott in
besonderem Ansehen stehen, auf die er schaut …
Wenn wir heute am
Ende des Gottesdienstes für die Caritas etwas ins Körbchen hinten geben, dann
unterstützen wir im Grund unsere eigenen Geschwister …
Es kann auch eine
Option, gute Möglichkeit sein, wenn wir bei der nächsten Gelegenheit, wo jemand
über die Caritas oder über „Gutmenschen“ schimpft, diesem Tun. beherzt entgegentreten.
Ich freue mich auch,
wenn es Menschen gibt, die in einem Caritasausschuss der Pfarre mittun – den
gibt es nämlich derzeit nicht, es wäre aber höchst notwendig.
Und überhaupt mehr
auffallen, wenn es darum geht, Gutes zu tun.