Thomas. Predigt zum Weißen Sonntag
Liebe Brüder und Schwestern!
Selig, die nicht sehen und doch glauben.
Der Satz ist so oft gesagt worden, und wir haben ihn, vermute ich, so oft gehört, dass wir gar nicht mehr drüber nachdenken, was er eigentlich bedeutet.
(Denn, und das behaupte ich hier und heute: Aus dem Zusammenhang gerissen und falsch vermittelt ist er absolut verkehrt.)
Zuerst müssen wir fragen: an wen richten sich diese Worte? – An die Apostel jedenfalls nicht, denn die haben Jesus sehr wohl gesehen, live erlebt, wie es bei uns heißt, vor dem Tod und nach seiner Auferstehung.
Die Worte richten sich an die Leser- und Hörerschaft des Evangeliums, an die nachgeborenen, die Jesus als er in Israel lehrte und heilte, nicht begegnet sind. Die, denen das Evangelium verkündet wird vom Jahr 38 nach Christus bis zum Weltende. Das „Selig, die nicht sehen und doch glauben“ richtet sich – z. B. – an uns.
Was ist das überhaupt: „glauben“?
Glaube hat die Dimension des Fürwahrhaltens – es gibt ein Glaubenswissen. Die Aussage des Evangeliums: Jesus ist Gott in Person und von den Toten auferstanden“ können wir nur glauben – oder eben nicht.
Oder den Umstand: dass Gott uns über alles liebt und uns erlöst hat – …
Aber, eines müssen wir nicht: Wir brauchen nicht ins Leere und Blaue hinein glauben.
Glauben hat die Dimension des Vertrauens. Das hat was mit Liebe zu tun, mit Gefühl und einem persönlichen Naheverhältnis. Wenn wir jemandem Vertrauen schenken, dann haben wir, wenn wir gesund und normal und vernunftbegabt sind, in der Regel allen Grund dazu.
Liebe Brüder und Schwestern, Jesus verlangt in keiner Weise von uns einen blinden Glauben.
Im Gegenteil.
Wir Christen haben den Vorteil, dass wir unserem Religionsgründer jederzeit und überall begegnen können. Das Problem ist, dass wir ihn hier in dieser Dimension nicht SEHEN können – und deswegen sind wir selig, wenn wir es trotzdem versuchen und für möglich halten, dass der direkte Kontakt möglich ist.
Glaube ist für Christen lebendige Beziehung mit Christus. Ja, es kommt etwas zurück – da können wir uns bei den großen Mystikern und Mystikerinnen der Kirchengeschichte vergewissern, was und wie viel.
Und Christentum bedeutet noch mehr: Das Zentrum des heutigen Evangeliums sind die Worte, die Thomas zum Schluss sagt: „Mein Herr und mein Gott!“ Das ist ein Glaubensbekenntnis.
Christ sein heißt, Jesus als Herrn zu übernehmen.
Meinungen anderer Menschen, Systeme, Karma – Schuldverstrickung – haben keine macht über uns.
Mich in allem nach ihm zu richten, nach seiner Meinung zu fragen, mit ihm mich austauschen über die Themen und alle Belange meines Lebens.
Arbeit, Familie, Gedanken, Freizeit, was ich lese, wohin ich gehe, was ich sage, gesellschaftliche, kulturelle, politische Tätigkeit … was ich esse und anziehe.
Christ sein bedeutet, zu diesem Herrn zu stehen, komme, was da wolle. Dann stellt sich die Frage nicht, ob ich am Sonntag in den Gottesdienst gehe – er lädt mich zu seiner Party – Auferstehungsparty – ein. Wie könnte ich da weg bleiben? Es stellt sich die Frage nicht, ob und wie ich bete – weil es unvorstellbar ist, mit jemandem, mit dem ich das Leben teile, nicht regelmäßig zu reden.
Es stellt sich die Frage nicht, ob ich die 10 Gebote einhalte oder mich nach dem Katechismus richte – denn wenn mir Jesus so wichtig ist, dann geht es doch gar nicht anders als ständig zu fragen was er dazu sagt … wenn ich jemanden liebe, werde ich dann machen, was den bestimmt kränken wird? … na eben.
Ja, und ich werde merken, spüren, dass Jesus wirklich da ist.
Er ist lebendige Person und zeigt mir ständig, wie gern er mich hat. Dinge gelingen. Sogenannte „Zufälle“ ereignen sich. Hass und Ärger verflüchtigen sich, Versöhnung, Friede wird möglich. Heilung geschieht. Ich weiß, was ich wissen muss, im richtigen Moment. Freude an der Arbeit, Verantwortungsbewusstsein, Pflichtgefühl. Sinn.
Plötzlich alles da.
Das Christentum ist eine Erfahrungsreligion, eine Religion der Praxis.
Schicksalsgemeinschaft auf Gedeih und Verderb.
Karl Rahner hat gesagt: Der Christ des 21. Jahrhunderts wird ein Mystiker sein, oder er wird nicht mehr sein.
Die Frage, warum die Kirche schrumpft, stellt sich nicht.
Wer von uns lebt in einer Schicksalsgemeinschaft mit Christus, hat ihn als Freund und Herrn angenommen – so wie ich das vorhin beschrieben habe?
Christentum ist eine Erfahrungsreligion.
Menschen wollen es sehen und erleben, wie andere dieses Christsein leben, damit sie es nachmachen können.
Liebe Brüder und Schwestern: Auf geht’s.
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